Lessons learned - man lernt nie aus: 350 Führungkräfte der Hilfsorganisationen tauschen sich zu besonderen Einsatzlagen aus
Rund 350 Führungskräfte der Hilfsorganisationen trafen sich heute auf Einladung des Münchner Roten Kreuzes zur 18. Fachtagung "Führen von Einsatzkräften" im Klinikum Großhadern. Unter der Überschrift "Lessons learned - man lernt nie aus" tauschten sich die Teilnehmer zu Einsatzkonzepten und Erfahrungen aus. Die Themenpalette reichte von Einsatzrichtlinien für große Schadensereignisse, das Ausbildungskonzept der Örtlichen Einsatzleiter in Bayern, die Erkenntnisse aus den Einsätzen mit Flüchtlingen bis hin zur Zusammenarbeit mit Spontanhelfern beim Hochwasser in Niederbayern 2016. Einsatzberichte von einem Bombenfund in Regensburg und dem Zugunglück bei Bad Aibling rundeten die Tagung ab. Den Höhepunkt bildete schließlich ein Vortrag über den Amoklauf in München und das Vorgehen bei der Zusammenarbeit zwischen Spezialeinheiten der Polizei und des Rettungsdienstes.
Bernd Zaayenga und Dr. Torsten Birkholz stellten die neue bayerische Richtlinie für den Massenanfall von Verletzten vor. Sie soll in Kürze vom Innenministerium veröffentlicht werden und regelt unter anderem verbindlich die Aufgaben einer vorläufigen Einsatzführung, die Kennzeichnung von Führungskräften und die Einbindung von Helfern der Psychosozialen Notfallversorgung in die Einsatzstrukturen. Sie stellten außerdem ein Konzept für das Vorgehen des Rettungsdienstes bei besonderen Einsatzlagen wie Terroranschlägen vor. Darin geht es vor allem um den Austausch sensibler Einsatzinformationen zwischen Polizei und Rettungsdienst, die Sicherheit der Einsatzkräfte und das Vorgehen zum Transport einer Vielzahl von Verletzten. Auch eine Empfehlung zu ergänzender Ausstattung der Rettungsmittel ist darin enthalten.
Dr. Christian Schwarz stellte die Erfahrungen der Staatlichen Feuerwehrschule Geretsried mit der neuen Ausbildung der Örtlichen Einsatzleiter vor. Er ging auf die Anforderungen an Örtliche Einsatzleiter und seine Aufgaben und Befugnisse im Einsatzfall ein. Auf dieser Basis entwickelten die Experten ein geeignetes Ausbildungskonzept, das derzeit erprobt und evaluiert wird und das Schwarz den Teilnehmern vorstellte. Ein Knackpunkt: Entgegen früherer Ankündigungen wurde für Örtliche Einsatzleiter keine Fortbildungspflicht eingeführt. Fortbildungen werden lediglich angeboten und empfohlen.
Regierungsvizepräsidentin Maria Els schilderte die Erfahrungen der Regierung von Oberbayern bei der Hilfe für Geflüchtete im Herbst 2015. Mehr als 190.000 Geflüchtete musste die Behörde 2015 in Oberbayern unterbringen, was die Kapazitäten und Strukturen deutlich auf die Probe stellte. Nur durch eine enge und unbürokratische Zusammenarbeit zwischen Behörden, Hilfsorganisationen, Reiseunternehmen, spontanen Freiwilligen, Polizei und sogar Bundeswehr gelang es, diese Herausforderung zu meistern. "Das war für mich eine der positivsten Erfahrungen, dass sich in dieser Notsituation eine Schicksalsgemeinschaft bildet und Probleme löst. Das war wirklich beeindruckend", sagte Els und bedankte sich auch direkt bei den Tagungsteilnehmern: "Ohne Sie hätten wir das nicht geschafft."
Über die Koordination spontaner Freiwilliger beim Hochwassereinsatz in Simbach am Inn sprach Raimund Heiny, der unter der Überschrift "Ungebundene Helfer - Chaostruppe oder wertvolle Unterstützer?" zog er Bilanz. Insgesamt 1.200 Freiwillige kamen in Simbach über das Team Bayern zusätzlich zu den organisierten Helfern innerhalb von vier Wochen im Einsatz. Er betonte das Potenzial der Koordination von Freiwilligen durch Strukturen wie das Team Bayern und auch die Grenzen des Einsatzes von Freiwilligen, etwa in Gefahrenbereichen. Zudem hob er die hohe Motivation und die Talente hervor, die die Freiwilligen in die Einsätze einbringen. Er richtete den Aufruf an die Hilfsorganisationen, spontane Freiwillige als feste Ressource in die Krisenbewältigung einzubeziehen und zugleich Strukturen zu schaffen, die im Einsatz die Nahtstelle zu den Freiwilligen bilden.
Sebastian Gerosch und Jürgen Eder vom Regensburger Roten Kreuz berichteten über die Evakuierung des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder Regensburg nach einem Bombenfund am 26.10.2015. Zusätzlich zur Klinik waren in einem Sperrbereich von 500 Metern um die Bombe rund 5.000 Anwohner betroffen sowie zwei Schulen und die Autobahn A93. Die eigentliche Evakuierung fand dann nach intensiver Vorbereitung am 31.10. und 1.11.2015 statt. Rund 300 Helfer transportierten 120 Patienten in umliegende Krankenhäuser und betrieben drei Betreuungsstellen für die unverletzten Betroffenen. Beide Referenten hoben vor allem den Stellenwert einer fundierten Planung und Führung als Teamarbeit hervor.
Christof Vornberger stellte anschließend den Einsatz beim Zugunglück von Bad Aibling vor. Eine besondere Herausforderung war die Raumordnung und der stark erschwerte Zugang zur Einsatzstelle. Deshalb spielten Hubschrauber und auch die Wasserwacht mit Booten eine wichtige Rolle für den Einsatzerfolg. Sehr belastend für die beteiligten Einsatzkräfte war das Ausmaß der Zerstörung an den Zügen und die Verletzungsmuster der Verletzten und Toten. Vornberger betonte den Stellenwert der Abstimmung aller Beteiligten und des Vorhandenseins von Standards für den Einsatzerfolg. Insgesamt forderte das Unglück 12 Tote und 94 Verletzte. Mehr als 20 Helfer hatten intensiveren Nachbetreuungsbedarf, um die Folgen des Einsatzes emotional zu verarbeiten.
Nach einem historischen Rückblick zur Entstehung von polizeilichen Spezialeinheiten stellte Polizeiarzt Dr. Klaus Friedrich die Zusammenarbeit zwischen Rettungsdienst und Polizei und die Herausforderungen der medizinischen Versorgung bei besonderen polizeilichen Einsatzlagen vor. Dabei steht vor allem die Sicherheit der Einsatzkräfte im Vordergrund. Friedrich beschrieb auch die besonderen Verletzungsmuster bei Anschlägen und den hohen Stellenwert der schnellen Blutstillung.
Zum Abschluss beleuchteten Michael Storz von der Berufsfeuerwehr München, Jürgen Terstappen vom Münchner Roten Kreuz und Polizeipräsident Hubertus Andrä die Ereignisse beim Amoklauf am 22. Juli im Olympia-Einkaufszentrum. Andrä stellte zunächst den Einsatzablauf aus polizeilicher Sicht dar und schilderte die Probleme, die durch Gerüchte um zusätzliche Tatorte und Täter in sozialen Netzwerken entstanden. Als Konsequenz aus diesem Einsatz will die Polizei insbesondere die Erkennbarkeit ziviler Einsatzkräfte, die Kommunikation nach innen, die Abstimmung des Informationsstands zwischen den verschiedenen Auskunftsstellen und die Einsatzsteuerung per GPS verbessern. Auch für die Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen sieht er Verbesserungsbedarf. Michael Storz und Jürgen Terstappen ergänzten den Vortrag um die Sicht der Sanitätseinsatzleitung. Storz schilderte besonders anschaulich die Situation der ersten Einsatzkräfte des Rettungsdienstes am Einsatzort und die unklare Sicherheitslage. Terstappen stellte die hohe Belastung der Einsatzkräfte in diesem Einsatz dar, die sich auch aus dem Handlungsdruck der Angehörigen ergab.
Die Pausen nutzten die Teilnehmer nicht nur zum regen Austausch untereinander, sondern auch zum Besuch der begleitenden Industrieausstellung.
Die Fachtagung "Führen von Einsatzkräften" findet 2016 bereits zum 18. Mal statt und soll der Fortbildung sowie dem Erfahrungsaustausch von ehrenamtlichen und beruflichen Führungskräften der Hilfsorganisationen dienen. Sie wird von einem ehrenamtlichen Team des Münchner Roten Kreuzes organisiert und durchgeführt. Der Betreuungsdienst sorgt für das leibliche Wohl der Teilnehmer. Fotos und Eindrücke vom Veranstaltungstag finden Sie hier.
Alle Informationen zur Fachtagung "Führen von Einsatzkräften" finden Sie hier: