Internationaler Rotkreuz-Einsatz in Syrien: Solange wir gebraucht werden, arbeiten wir weiter
Zurück von ihrem Besuch in Syrien äußert sich die Leiterin der Operationen für den Nahen Osten im Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), Béatrice Mégevand-Roggo, zur humanitären Lage in dem von Gewalt geplagten Land. Im Interview gibt sie Einblick in die Arbeit, die das Rote Kreuz und der Syrische Arabische Rote Halbmond vor Ort leisten, um den betroffenen Menschen zu helfen.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung aus humanitärer Sicht?
Seit Beginn der Bürgerunruhen habe ich die Situation in Syrien sehr genau verfolgt und das Land und die von Gewalt betroffenen Regionen mehrere Male besucht.
Vor ungefähr zwei Wochen hielt ich mich zum zweiten Mal in Homs auf. Nichts erinnert mehr an den Ort, den ich noch vor einigen Monaten vorfand. Die Stadt trägt tiefe Narben heftiger Kämpfe, und die Angst ist überall spürbar. Viele Einwohner brauchen dringend Hilfe. In unseren Erkundungen verlassen wir uns ausschließlich auf Quellen aus erster Hand, deshalb versuchen wir mit so vielen Menschen wie möglich zu sprechen – Ärzten, Krankenschwestern, unseren Kollegen vom Syrischen Roten Halbmond, den Behörden und ganz normalen Bürgern auf der Straße. Einer der Leute, mit denen ich sprach, sagte mir: „Wir wollen kein Essen, wir wollen Schutz, vor dem was, hier passiert!“
In den vergangenen elf Monaten wurden Tausende verletzt oder getötet, unter ihnen auch Mitglieder der Armee und der Sicherheitskräfte. Die jüngsten Bombenanschläge in Damaskus haben den Leuten vor Augen geführt, dass die Gewalt sie direkt treffen kann. Die Situation ändert sich stetig, die Leute geben die Hoffnung nicht auf, dass die Unruhen eines Tages enden werden und sie zum normalen Leben zurückkehren können. Noch hat die Gewalt nicht das ganze Land in Mitleidenschaft gezogen. In den betroffenen Regionen aber wächst der Bedarf an humanitärer Hilfe.
Besorgnis erregend bleibt die wirtschaftliche Situation zumal sie direkten Einfluss auf das Leben vieler Menschen hat.
Haben sich Ihre Prioritäten verändert?
Wenn die tägliche Gewalt eines zeigt, dann die Tatsache, dass wir unsere Prioritäten schon immer richtig gesetzt haben. Unsere Hauptsorge jedoch bleibt, dass die medizinischeVersorgung und das dazugehörige Personals, insbesondere der Syrischen Rothalbmondgesellschaft, nicht ausreichend respektiert werden..
Wir sind immer noch geschockt über den Tod von Dr. Abd-al-Razzaq Jbeiro, Generalsekretär und Leiter der Syrischen Rothalbmondgesellschaft in Idlib. Er wurde am 25. Januar bei einem Zwischenfall getötet, der eine schwerwiegende Missachtung des Rotkreuz/Rothalbmond-Zeichens darstellt: der einzige Zweck der mit einem Roten Kreuz oder Roten Halbmond ausgestatteten Fahrzeuge, Einrichtungen und Freiwilligen beteht darin, das Leben von Verwundeten und Kranken zu retten. Ihre Arbeit muss respektiert werden und ihr Zugang zu Menschen in Not muss unbeschränkt sein. Das Emblem darf unter keinen Umständen missbraucht werden. Andernfalls kann die Rothalbmondgesellschaft ihre humanitären Aufgaben nicht ausüben. Wie können wir von Menschen erwarten, dass sie einen von Natur aus stressigen und gefährlichen Job machen, wenn wir sie nicht davon überzeugen können, dass die unterschiedlichen Parteien sie unterstützen und ihr Schutzzeichen respektieren?
Einen anderen Schwerpunkt legt das IKRK auf Gefangenen-Besuche in Syrien. Wir stellen sicher, dass die Menschen davon erfahren, wo ihr Sohn, Bruder, Vater oder Ehemann ist. Wir wissen nicht, wie viele Menschen festgehalten werden.
Zu diesem Zeitpunkt führen wir keine Besuche aus, da wir noch in Abstimmungsprozessen mit den syrischen Behörden sind. Besuche sind zwecklos, solange wir uns nicht ein genaues Bild von der Situation der Inhaftierten machen können. Ganz klar - das kann nur passieren, wenn wir die Erlaubnis bekommen, gemäß unseren Standards zu agieren - übrigens die gleichen standardisierten Abläufe, die in mehr als 80 Länder der Welt bei Gefängnisbesuchen zur Anwendung kommen.
Beeinträchtigt die Gewalt in Syrien ihre Einsatzmöglichkeiten?
Ohne Zweifel haben die wiederholten Zwischenfälle gegen Freiwillige des Roten Halbmonds dazu geführt, dass wir unsere eigenen Operationen unter Sicherheitsaspekten genau abwägen. Das betrifft Zeit und Häufigkeit der Besuche des IKRK in den betroffenen Regionen, zu einer Zeit, in der die Menschen dringend Hilfe benötigen. Wir müssen einen Mittelweg finden zwischen den sehr akuten Nöten und den häufig übermäßigen Risiken der Menschen, die humanitäre Arbeit leisten. Wir werden einfach unser Bestes tun müssen.
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